Winfuture-Jahresrückblick: Die Weichen sind gestellt

WinFuture Es wurden Weichen gestellt in diesem Jahr. Die Internet-Community hat schwierige Auseinandersetzungen geführt und wichtige Siege errungen. Immer stärker wurde klar: Es geht letztlich nicht darum, wie "unser" Netz aussehen und genutzt werden soll, sondern darum, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Je weitergehender das Internet mit seinen inzwischen über 2 Milliarden Nutzern zu einem Massen-Kommunikationsmedium wurde, umso direkter spiegelten sich natürlich auch die allgemeinen gesellschaftlichen Debatten in ihm wieder.

Sollen es ausschließlich die politischen und wirtschaftlichen Eliten sein, die Entscheidungen treffen, oder trauen wir es uns selbst zu, für unsere Belange einzutreten und unsere Welt zu gestalten? Diese Frage steckt hinter Vielem - ob es nun darum geht, ob ein Bahnhof vergraben oder das Telekommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung präventiv über Monate protokolliert werden soll.

Ein absurdes Gesetz
Nie zuvor haben netzpolitische Themen eine so große öffentliche Aufmerksamkeit genossen, wie in diesem Jahr. Die Grundlage dafür bildete die breite Protestbewegung gegen die Errichtung einer Sperr-Infrastruktur. Obwohl das so genannte Zugangserschwerungsgesetz zwar im Februar offiziell in Kraft trat, gibt es bis heute keine Sperrlisten. Die Bundesregierung musste sich dem Druck der Öffentlichkeit beugen und erst einmal auf das Prinzip "löschen statt sperren" setzen.

Da sich die Große Koalition im vergangenen Jahr aber mit aller Macht an das schon damals von zahlreichen Experten als untauglich kritisierte Gesetz festkrallte, finden wir uns nun in einer bisher einmaligen Situation wieder. Auch wenn es Vielen im konkreten Fall ganz recht sein dürfte, muss festgehalten werden, dass es hier aktuell ein vom Bundestag und Bundesrat nach den parlamentarischen Spielregeln regulär beschlossenes Gesetz gibt, dessen Anwendung anschließend schlicht durch ein Ministerium ausgesetzt wurde.

Klare Worte aus Karlsruhe
Nicht weniger Bedeutung hatte die langwierige Auseinandersetzung um die Einführung der sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung. Per Gesetz wurden Telekommunikationsunternehmen und Provider verpflichtet, Teilnehmer und Zeitpunkt von Telefonaten, E-Mail-Korrespondenzen und Webseiten-Aufrufen zu protokollieren.

Ein breites Bündnis von Bürgerrechtsorganisationen, Berufsverbänden und Unternehmen organisierte den Protest und 35.000 Menschen klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Am 2. März fällten die Richter in Karlsruhe ein Urteil, das in seiner Klarheit selbst viele Kläger und Aktivisten überraschte: Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen das Grundgesetz und sei damit nichtig, hieß es. Alle bereits angefallenen Daten seien unverzüglich zu löschen.

Der Marsch in die Institutionen
Im Berliner Regierungsviertel führten diese Entwicklungen im Laufe der Zeit zumindest zu der Einsicht, dass man bei netzpolitischen Themen nicht mehr einfach an der Internet-Community vorbeikommt. Nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits zu Jahresbeginn zum netzpolitischen Dialog einlud, konstituierte sich im Mai die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestages.

In dieser sollen Vertreter der Politik gemeinsam mit den von ihnen hinzugezogenen Sachverständigen Eckpunkte für die zukünftige Gesetzgebung ausarbeiten. In der Enquete-Kommission sitzen nun unter anderem auch der Betreiber des Blogs Netzpolitik.org Markus Beckedahl, Constanze Kurz, die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, sowie Padeluun, einer der Vorsitzenden des Datenschutzvereins FoeBuD.

Angesichts dessen, dass de Maizière unter anderem weiterhin darauf beharrt, schnellstmöglich ein neues Vorratsdatenspeicherungs-Gesetz auf den Weg zu bringen, muss sich aber erst noch zeigen, ob diese Form der Einbeziehung überhaupt mehr ist, als eine Beruhigungspille.

Datenspuren
Mit der zunehmenden Durchdringung des analogen Lebens mit Internet-Diensten rückten auch vielfältige Fragen des Datenschutzes immer weiter in den Mittelpunkt. Daten- und Verbraucherschützer schlagen angesichts der aktuellen Situation immer wieder Alarm und fordern eine gründliche Überarbeitung der Gesetzgebung.

Allerdings scheut die Politik offenbar davor zurück, sich mit der deutschen Internet-Wirtschaft anzulegen, die aus den Daten der Nutzer Gewinne generiert. Stattdessen weicht man auf Nebenschauplätze aus. So wurde die Abbildung von Hausfassaden im Internet zum Generalangriff auf die Privatsphäre aufgebauscht und Google öffentlichkeitswirksam so lange unter Druck gesetzt, bis das Unternehmen zusicherte, Straßenfotos auf Wunsch von Bürgern zu verpixeln.



Deutlich weniger Sorgen macht man sich in Berlin hingegen um den Datenschutz, wenn es darum geht, eigene IT-Großprojekte - die eher eine Art der Wirtschaftsförderung als Fortschritt sind - durchzudrücken. So ließ die Bundesregierung im November den neuen elektronischen Personalausweis starten und kaufte gleich noch massenhaft nachweislich unsichere Basis-Lesegeräte, die an die Nutzer verschenkt werden sollen. Die nächste Generation von Phishing-Angriffen scheint hier bereits vorprogrammiert zu sein.

Zwangs-Transparenz
Den wohl bisher heftigsten Zusammenstoß zwischen den Interessen eines Staates und den freiheitlichen Grundprinzipien des Netzes hat zweifellos die Whistleblower-Plattform Wikileaks ausgelöst. Ein Team von Hackern und Journalisten, die bis auf wenige Ausnahmen wie Julian Assange verdeckt arbeiten, stellte die Supermacht USA bloß.

WikileaksWikileaksWikileaksWikileaks

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Projekten, die an vergleichbaren Plattformen arbeiten und das Grundkonzept einer Möglichkeit zur anonymen Weitergabe von Informationen, die Staaten oder Unternehmen vor den Bürgern geheim halten wollen, weiterentwickeln. Einer der prominentesten Vertreter ist dabei Openleaks, an dem unter anderem der ehemalige Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg mitarbeitet.

Diese Leaking-Plattformen bergen das Potenzial zu einer wichtigen Basis kommender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen zu werden. Schließlich können die verschiedensten Probleme nur dann offen und transparent diskutiert und behoben werden, wenn sie der Öffentlichkeit bekannt sind.

Immer weiter…
All diese und viele weitere Themen werden uns auch im kommenden Jahr beschäftigen. So liegt die Arbeitnehmer-Datenbank ELENA nur vorübergehend auf Eis. Auf EU-Ebene beginnt die ganze Diskussion über Netzsperren von Neuem und der frisch gescheiterte letzte Entwurf für einen neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) muss überarbeit werden. Nicht zuletzt steht auch die unter anderem vom CCC aufgestellte Forderung nach einem Datenschutzbrief im Raum, der Unternehmen verpflichten soll, Bürger von sich aus über die bei ihnen gespeicherten persönlichen Daten zu unterrichten.

Wir schätzen das Netz dafür, dass es keine Einbahnstraße ist. Dies ist es wert, in die Offline-Welt mitgenommen zu werden. Also informiert euch und mischt euch ein. Auf ein spannendes, ereignis- und erfolgreiches Jahr 2011!

Dieser Artikel ist Teil einer Serie von Jahresrückblicken, in denen unsere Redakteure bis zum Jahreswechsel ihre persönliche Sicht auf das vergangene Jahr darlegen. Auf der folgenden Seite bieten wir außerdem einen Überblick über die jeweiligen Top10 der interessantesten und beliebtesten Beiträge der vergangenen zwölf Monate.
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