Telecomix: 3 Jahre voller Datenliebe und Revolution

Nahezu allabendlich konfrontieren die Nachrichtensendungen im Fernsehen ihre Zuschauer mit Bildern von der brutalen Gewalt, mit der das syrische Regime gegen Oppositionelle vorgeht. Die Quellenangabe lautet oft lapidar "Internetvideo".
Die Aufnahmen stammen zum Beispiel aus Homs. Gefilmt wurden sie nicht von professionellen Kameraleuten - diese sind schon längst nicht mehr an den eigentlichen Brennpunkten vor Ort. Zu hoch ist das Risiko für Leib und Leben. Die Videos wurden mit Handys gedreht und vorbei an den staatlichen Zensur- und Überwachungsmaßnahmen online außer Landes gebracht.

Dass es diese Verbindungen über das Netz überhaupt noch gibt, ist nicht zuletzt einer Gruppe von Aktivisten zu verdanken, die sich heute vor drei Jahren zusammentaten. Es gibt keine feste Struktur, keine klare Definition, wer denn nun genau Mitglied ist, einige kennen sich nur per Nickname. Es genügen eine Idee, ein IRC-Channel und ein Name: Telecomix.

Als es im Frühjahr 2009 begann, wurde in Europa gerade an der neuen EU-Telekom-Richtlinie gefeilt. Netzaktivisten waren in Aufruhr, weil mit ihr umfassende Einschränkungen für die Freiheit des Netzes eingeführt werden sollten. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich ein Gesetz in Schweden, dass es dem Geheimdienst auch offiziell erlauben sollte, sämtliche Datenverbindungen über die Landesgrenzen hinweg auszuspionieren.

Die Telecomix-Aktivisten, die zum größten Teil aus den Hacker-Szenen verschiedener Länder stammen, konzentrierten sich vor allem darauf, Informationen zusammenzutragen und sich mit anderen Gruppen zu vernetzen. Aber auch damals ging es bereits darum, den freien Fluss von Informationen zu gewährleisten. So wurden im Rahmen des Projektes Streisand.me Daten gespiegelt, die an anderer Stelle aus dem Netz entfernt wurden.

Die Gruppe reihte sich somit in eine ganze Reihe anderer Zusammenschlüsse von Netzaktivisten ein, die hauptsächlich von ihrer Begeisterung für diese Infrastruktur angetrieben werden, die für viele ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Lebensraumes geworden ist. "Wir sind aus dem Internet. Wir kommen in Frieden. Möge es Freiheit für alle Menschen und Computer geben", so erklärte es der Berliner Stephan Urbach, einer der wenigen Beteiligten, die öffentlich auftreten, gegenüber WinFuture.de.

Für einen Einschnitt sorgte dann aber der Januar des letzten Jahres. Um der aufkommenden Protestbewegung in Ägypten den Wind aus den Segeln zu nehmen, kam das Regime in Ägypten auf die Idee, dieser mit einer Abschaltung sämtlicher Internet-Zugänge die wichtigste Kommunikations- und Organisationsplattform zu nehmen. Die Telecomix-Aktivisten reagierten darauf, indem sie ihre alten Modems wieder anschlossen und per Fax Anleitungen in Richtung Nil schickten, wie man per Telefon wieder online gehen kann. Viele Ägypter konnten so zumindest Angehörigen im Ausland eine E-Mail schreiben. TelecomixDas Logo von Telecomix Deutlich härter wurde es, als man begann, Hilfe für Syrien in die Wege zu leiten. Hier war man nicht mehr nur damit konfrontiert, dass eine Regierung den Informationsfluss behinderte und Kontakte vor Ort einsperrte. Mehrere Aktivisten vor Ort wurden getötet. Die mentale Belastung für verschiedene Telecomix-Mitglieder wurde dadurch so hoch, dass die Gruppe kurz davor war, ihre Arbeit aus Selbstschutz einzustellen. Auf dem Chaos Communication Camp konnte allerdings Hilfe organisiert werden, die ein Weitermachen ermöglichte.

In der Folge konnte anhand von Log-Files, die sich die Hacker aus den Systemen der syrischen Infrastruktur holten, nachgewiesen werden, dass die Unterdrückung der Bevölkerung mit westlicher Technologie erfolgt. Weiter geht auch die Arbeit an anonymen, verschlüsselten Verbindungen, mit denen Syrer an Informationen gelangen und über ihre Lage berichten können.

"In den letzten 3 Jahren haben wir politisch und aktivistisch einiges erreicht", fasste Urbach den aktuellen Stand zusammen. Er warnte aber auch vor zu hohen Erwartungen, die für die Aktivisten eine zusätzliche Belastung darstellen: "Leider wird Telecomix von der Außenwelt als Recht wahrgenommen - dass wir immer einspringen, wenn es wieder etwas zu tun gibt. Das ist natürlich falsch, Telcomix ist wie jeder Dienst im Netz ein Privileg - wenn auch ein äußerst charmantes - und wir sind nicht immer verfügbar."

Denn bei allem Ernst, der die Arbeit von Telecomix umgibt: Wie bei allen anderen Hacker-Projekten geht es immer auch ein gutes Stück um den Spaß an der Auseinandersetzung mit der Technik und der Gesellschaft - oder wie Urbach es ausdrückt: "Telecomix - das ist in erster Linie ein Haufen Freunde und nicht nur Aktivisten. Wir rotten uns im IRC zusammen, trollen Politiker und pissen den Geheimdiensten von Diktaturen ans Bein."

Ende Februar berichtete Stephan Urbach in einem Vortrag beim Oldenburger Verein "Kreativität trifft Technik" von seinen Erfahrungen bei Telecomix und der Hilfe für die arabischen Staaten:

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