Reisetipp: Ein Besuch bei den Code-Brechern

Etwas trostlos wirkt das kleine britische Städtchen, das sich kaum von vielen anderen auf der Insel unterscheidet. Und doch wurde hier nur wenige Meter weiter große Geschichte geschrieben. Bletchley.
Großbritannien, England, Bletchley Park
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Binnen weniger Jahre entwickelte sich hier ein idyllischer Landsitz zu einer der geheimsten und letztlich wirkungsvollsten Militäreinrichtungen des Zweiten Weltkrieges. Man kann durchaus davon sprechen, dass die Kriegsführung an diesem Ort ihren frühen Sprung in die Informationsgesellschaft machte. Bletchley ParkStation X Erst kurz vor dem Ausbruch des Krieges im Jahr 1939 zog die Government Code and Cypher School (GC&CS) in das Herrenhaus des Bletchley Park-Geländes ein. Einige wenige Wissenschaftler waren hier mit der Entschlüsselung von Nachrichten beschäftigt. Schnell erkannte jedoch die britische Militärführung die Bedeutung, die diese Abteilung in den kommenden Jahren spielen sollte. Der damalige Premier Winston Churchill persönlich erteilte die Order, den dort ansässigen Kryptoanalytikern möglichst jeden Wunsch zu erfüllen.

Der bekannteste Vertreter vor Ort war dabei Alan Turing, der wichtige Grundlagen der modernen Informatik legte. Aber auch viele andere Experten wurden auf dem Gelände zusammengezogen. Keinesfalls zu vergessen sind außerdem zahlreiche Frauen, die hier im Dreischichtsystem letztlich die praktischen Arbeiten an den Entschlüsselungssystemen verrichteten. Erstmals in der Geschichte ging man in Bletchley Park so dazu über, das Brechen von Kryptographie im industriellen Maßstab durchzuführen. Bis zu 10.000 Menschen waren auf dem Höhepunkt des Krieges hier mit dieser Aufgabe beschäftigt. Bletchley ParkAlan Turings Büro in Hütte 8 Und der Erfolg war für die Aliierten durchschlagend. Größere Bekanntheit erlangte das Knacken der Enigma. Dadurch konnten unter anderem die Positionen der deutschen U-Boote im Atlantik herausgefunden werden. Als die Versorgung Großbritanniens über den Ozean kurz vor ihrem Zusammenbruch stand, gelang es so, einerseits die Geleitzüge um die so genannten Wolfsrudel herumzuleiten und andererseits zu einer effektiven Jagd auf den Feind überzugehen.

Entscheidende Informationen lieferte Bletchley Park aber auch im Kampf gegen das Deutsche Afrikakorps und für die Koordination der Luftabwehr gegen die deutschen Bombenangriffe. Die Weitergabe von Daten an die Rote Armee half dabei, die entscheidende Ostfront-Schlacht am Kursker Bogen erfolgreich zu bestreiten. An dem Ort wurde ferner ein groß angelegtes Täuschungsmanöver ausgearbeitet, das dafür sorgte, dass bei der Landung der Alliierten in der Normandie große Teile der deutschen Militärverbände an ganz anderen Stellen der Küste gebunden waren. Hinzu kam, dass Bletchley Park nicht nur die deutsche, sondern auch die italienische und japanische Kommunikation lesbar machte.

Auch lange Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unterlag alles, was mit Bletchley Park zu tun hatte, höchster Geheimhaltung. Immerhin waren hier auch wesentliche Grundlagen für die nachrichtendienstliche Tätigkeit in den folgenden Jahrzehnten des Kalten Krieges gelegt worden. Auch dies dürfte dazu beigetragen haben, dass der Schauplatz - entgegen anderen dieser Zeit - bis heute vergleichsweise wenig bekannt ist.

Bletchley ParkBletchley ParkBletchley ParkBletchley Park

Zu Unrecht. Denn der engagierte Bletchley Park Trust konnte das Gelände nicht nur mehrfach vor dem Abriss retten, sondern kümmert sich liebevoll darum, möglichst vieles originalgetreu als Museum zu erhalten. Der Besucher erhält vor Ort einen einzigartigen Einblick in das Leben und die Arbeit der Kryptoanalytiker und ihrer zahlreichen Helfer.

Eines der beeindruckendsten Exponate für jene, die sich für Computer begeistern, ist wohl der Nachbau einer der so genannten Turing-Bomben. Dabei handelt es sich um ein elektromechanisches System, mit dem Brute-Force-Angriffe auf die Enigma-Maschinen des deutschen Militärs durchgeführt wurden. An jedem Tag konnten die britischen Codebreaker so in kurzer Zeit den jeweils aktuellen Schlüssel herausfinden und die gesamte deutsche Kommunikation abhören. Bletchley ParkTuring-Bombe Nicht weniger anschaulich wird die Arbeit an diesen Geräten demonstriert: In kleinen, stickigen Holzbaracken, in denen gleich reihenweise Turing-Bomben laut vor sich hin ratterten, mussten die so genannten Wrens (von Women’s Royal Naval Service, WRNS) über Stunden hochkonzentriert die notwendigen Schaltungen an den Systemen vornehmen.

Aber auch andere Aspekte der nachrichtendienstlichen Tätigkeit dieser Zeit lassen sich hier erleben. So hat auch die britische Passion für die Brieftaubenzucht ihren Platz im Museum gefunden. Erinnert wird hier an die Vögel, die in Bletchley Park zu Hause waren und regelmäßig in kleinen Transportröhren an Fallschirmen über dem besetzten Frankreich abgeworfen wurden. Von dort brachten sie Nachrichten des französischen Widerstands über den Ärmelkanal. Bletchley ParkHommage an die Tauben Neben alldem erhält der Besucher aber auch einen Eindruck von der einzigartigen Atmosphäre, die damals an diesem Ort geherrscht haben muss. Denn die Idylle des Landsitzes sorgte auch für die nötige Muße, in der die Kryptoanalysten wieder Energien für ihre Arbeit tanken konnten, die eine enorme Konzentrationsleistung abverlangte.

Ein Ausflug an diesen Ort ist dabei allerdings längst nicht nur eine reine Beschäftigung mit längst vergangenen Zeiten. Denn die Spur der Codebreakers zieht sich bis in unsere Zeit. Die GC&CS besteht heute unter dem Titel Government Communications Headquarters (GCHQ) fort, das im Zuge des aktuellen Überwachungsskandals als britische Variante der NSA größere Bekanntheit erlangte und unter anderem für die umfassende Analyse der europäischen Internet-Kommunikation verantwortlich ist. Bletchley Park Bletchley Park ist somit für London-Reisende ein lohnenswertes Ziel für einen Tagesausflug. Besonders bequem erreicht man den Ort mit dem Zug, der aus dem Zentrum der britischen Hauptstadt etwa eine dreiviertel Stunde benötigt und alle 20 bis 30 Minuten fährt. Vom Bahnhof aus erreicht man den Schauplatz in wenigen Minuten zu Fuß.

Weitere Informationen: Bletchley Park-Webseite
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