Netzwelten Spezial: Alles neu lernen ist Unsinn

13.08.2004 21:09 

„Alles neu lernen ist Unsinn!“

Diskussion um Rechtschreibung in Deutschland stößt bei Schülern auf Unverständnis

Es ist Gesprächsthema Nummer Eins: Kurz vor der amtlichen Einführung 2005 entbrennt die Diskussion um die neue deutsche Rechtschreibung erneut. Leidtragende sind die Jugendlichen, die mit den neuen Regeln aufgewachsen sind. Kaum ein anderes Thema bereitet Schülerinnen und Schülern während ihrer Schulzeit so viel Kopfzerbrechen wie die deutsche Sprache. Jahrelanges Grammatikpauken, Regeln lernen und womöglich noch in einem Diktat wiedergeben können – keine andere Bevölkerungsgruppe ist so direkt mit der Anwendung der Rechtschreibe- und Grammatikregeln verzahnt wie die Schüler. Sie sind in Deutschland quasi eine Minderheit, da sie nur die neue Rechtschreibung gelernt haben. Was denken Schüler über eine mögliche Rücknahme der Rechtschreibreform. WinFuture hat Schüler dazu befragt.

Schüler wollen neue Schreibung beibehalten

Oft stößt die aktuelle Situation auf Unverständnis: „Ich dachte, das wäre längst erledigt; es ist völliger Unsinn, jetzt noch mal darüber zu diskutieren“, meint Lea Kiorz, 16 Jahre alt. Die ersten Jahrgänge, die ausschließlich nur die neuen Regeln gelernt haben, sind mittlerweile in ihrem Alter.
In der Übergangsphase zwischen neuer und alter Rechtschreibung aufgewachsen zu sein, stört Julia Fenning wenig: „Ich benutze die neuen Regeln, doch manchmal rutscht eine alte Schreibart dazwischen, die man irgendwo gelesen hatte“, sagt die 13-Jährige. Alles wieder neu zu lernen, ist ihrer Meinung nach Unsinn: „Die neue Schreibweise sollte man lassen. Ich habe die seit der 2. Klasse gelernt.“ In diesem Punkt sind sich die meisten Schüler einig: „Wir als junge Generation kennen die neue Schreibung; wieder alles rückgängig zu machen wäre zu viel“, meint ein anderer Schüler.
Was 1996 als Initiative zur Vereinfachung der Rechtschreibung begann, war stets umstritten. Besonders die älteren Generationen sahen keine Notwendigkeit, umzulernen. Viele Schriftsteller waren und sind ebenfalls dagegen: „Die neue Rechtschreibung halte ich für ein großes Unheil, beinahe für eine nationale Katastrophe“, schreibt Marcel Reich-Ranicki im Spiegel 32/2004. Führende Politiker und Verlage fordern die Rücknahme der Reform. Magazine wie „Spiegel“ und die auflagenstärkste Tageszeitung „Bild“ mit dem Axel-Springer-Verlag im Rücken werden die alte Schreibweise wieder einführen.

Neue Schreibung:
Sinn oder Sinnlosigkeit?

Der Konflikt zwischen gelernter Sprache und nun zu Lesendem ist offensichtlich. Dass die neue Rechtschreibung oft als „Wirrwarr“ bezeichnet wird, versteht Sabrina Gansen, 18, nicht: „Es sind doch keine großen Unterschiede zwischen beiden Schreibungen. Beim Lesen merke ich es nur selten, dass verschiedene Schreibweisen existieren.“
Das eigentliche „Wirrwarr“ entsteht nun: Jeder schreibt, wie er will. In Schulen und auf offiziellen Dokumenten wird die neue Schreibung benutzt, einige Publikationen wie auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung benutzen die alte Rechtschreibung.
Die Meinungen gehen weit auseinander, wenn es um den Sinn der Reform geht. „Man kann sich viele Wörter in der neuen Schreibung viel besser erschließen“, sagt Lea Kiorz. Florian Schneider, 15, dagegen meint, dass die neuen Regeln an sich eigentlich nicht gut seien: „Ein paar Regeln sind einfach Quatsch, sorgen im Vergleich zur alten Rechtschreibung nur für Verwirrung.“
Neben der Umstellung im Unterricht wäre eine Rücknahme außerdem eine enorme Belastung für die Schulbuchindustrie. Laut dem Dachverband der Schulbuchverlage, VdS, müsse man mit Kosten in Höhe von 250 Millionen Euro rechnen.
Doris Ahnen, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, verweist auf einen amtlichen Beschluss, die neue Rechtschreibung einzuführen. Bis Oktober dieses Jahres müssen sich Lehrer, Schüler und Verlage aber gedulden. Dann will die Kultusministerkonferenz über eine Anpassung der neuen Rechtschreibreform beraten. Weiterhin ist eine endgültige Einführung zum August 2005 geplant.

(c) Simon Bauer
August 2004 mit freundlicher Unterstützung von SRB Media

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